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Bundesgericht bestimmt, dass nach Scheidung alle arbeiten müssen

"Geschäftsfrau sitzt am Laptop und schreibt auf Notizblock mit Stift" by Ivan Radic, flickr.
"Geschäftsfrau sitzt am Laptop und schreibt auf Notizblock mit Stift" by Ivan Radic, flickr.

Das Unterhalts- und Obhutsrecht in der Schweiz entwickelt sich seit einigen Jahren stark. Das Bundesgericht hat kürzlich entschieden, dass Mütter nach der Scheidung nicht mehr automatisch durch den Mann abgesichert sind, sondern ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten müssen. 

 

Lebensprägende Ehe wird neu im Einzelfall geprüft

Bis anhin galt, dass wer in einer lebensprägenden Ehe lebte, also mehr als zehn Jahre verheiratet war oder gemeinsame Kinder hatte, nachehelichen Unterhalt zugute hatte, damit der Lebensstandard beider Parteien auch nach der Scheidung beibehalten werden konnte. Diese Regeln wurden nun aufgeweicht. Eine Ehe gilt nun nu noch als lebensprägend, wenn ein Ehepartner seinen Job aufgrund von Kindern aufgegeben hat oder deshalb seit vielen Jahren nur in kleinem Pensum arbeitet und nicht mehr an den ursprünglichen Job anknüpfen kann. Neu wird in jedem Einzelfall geprüft, ob die Ehe lebensprägend war. Allenfalls geschuldeter Unterhalt wird neu zeitlich begrenzt, ist also nicht mehr bis zur Pensionierung zu leisten. 

 

45'er Regel fällt

Früher galt, dass ein Ehepartner, der 45 Jahre und älter war, nicht mehr arbeiten mussten, wenn er während der Ehe nicht erwerbstätig war. Neu wird auch Personen, die älter als 45 Jahre alt sind, der Wiedereinstieg in den Job zugemutet, sofern keine kleinen Kinder zu betreuen sind und die Gesundheit, der Arbeitsmarkt und die persönliche Flexibilität es zulassen. Arbeitet eine Person nicht, obwohl es zumutbar wäre, errechnet das Gericht ein fiktives Einkommen, dass vom Unterhalt abgezogen wird.

 

Einheitliche Unterhaltsregelung in der gesamten Schweiz

Bis anhin war die Unterhaltsberechnung in der Schweiz je nach Gericht unterschiedlich geregelt. Die Zürcher Kinderkostentabelle, an der sich viele Gerichte orientierten, ist hinfällig. Neu gilt das "Zweistufige Modell der Überschussberechnung". Das heisst, dass zuerst das gemeinsame Gesamteinkommen berechnet wird. Dann wird der jeweilige Bedarf der Betroffenen berechnet. Sollte das Existenzminimum überschritten werden, wird der Geldüberschuss nach Ermessen (sowie nach "grossen und kleinen Köpfen") verteilt. Gibt es keinen Überschuss, muss zuerst der Barunterhalt für die minderjährigen Kinder gedeckt werden, anschliessend der Betreuungsunterhalt, dann der nacheheliche Unterhalt eines Ehepartners und zuletzt Unterhaltspflichten gegenüber volljährigen Kindern.

 

Was heisst das jetzt?

Die neuen Urteile im Unterhaltsrecht zielen darauf ab, den nachehelichen Unterhalt zu kürzen und geschiedene Frauen zum Arbeiten zu bewegen. Dies hat Vor- und Nachteile, wie so oft im Leben. Denn grundsätzlich ist es ja sinnvoll, dass geschiedene Frauen nicht finanziell von ihren Exmännern abhängig sind und selbst für sich sorgen. Für Frauen, die im Konkubinat leben, gilt dies ja schon länger. Egalitäre, also gleichberechtigte Beziehungen, in denen sowohl Mann als Frau sich in gleichen Teilen um Arbeit, Haushalt und Kinder kümmern, sollen gestützt werden. Andererseits aber ist jetzt die Politik gefordert: Denn solange es den Gender Pay Gap gibt, Berufe in denen Frauen arbeiten eher schlechter bezahlt werden und Frauen in der Realität immer noch den Löwenanteil der Kinderbetreuung und Haushaltsführung besorgen, ist es für viele alleinerziehende Mütter schwierig nach einer Trennung oder Scheidung einen gleichwertigen Lebensstandard zu halten und/oder nicht in die Armut zu rutschen.

 

 

Folgende Bundesgerichtsurteile wurden zusammengefasst: 5A_907/2018, 5A_311/2019, 5A_891/2018, 5A_104/2018 und 5A_800/2019.

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